Das stille Leiden Madagaskars

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Bremerhaven: Mitte Juli 2021 zeigten sich die Folgen der Klimakrise unerwartet heftig in Deutschland. Starkregen und Hochwasser forderten mehr als 100 Tote. Es entstanden beträchtliche materielle Verluste und Schäden, sowie hohe finanzielle Kosten für den Wiederaufbau der betroffenen Gebiete. Die Klimakrise wurde hierzulande ganz konkret spürbar und hat viele Debatten ausgelöst – besonders im Rahmen der Wahlperiode. 

In 15.000 km Entfernung, in Südmadagaskar, herrscht seit November 2020 bis dato eine der härtesten Dürren der letzten 40 Jahre. Die ersten Berichte hierzu erschienen allerdings erst im Mai 2021 in den deutschen Medien. Von der Dürre sind 1,3 Millionen Madagassen*innen betroffen, darunter 70.000 Kinder, die kritisch unterernährt sind. Ohne die vielen internationalen Hilfsorganisationen, die vor Ort unterstützen, wären die Opferzahlen dramatisch höher. Wetterextremereignisse sind auf Madagaskar für die Bevölkerung seit Dekaden hautnah zu spüren. Die Insel wird von häufigen und intensiven Wetterextremen wie Starkregen, Überschwemmungen, Zyklonen und Dürren als Folgen der Klimakrise heimgesucht. Diese fügen der ohnehin kaum vorhandenen Infrastruktur enormen Schaden zu und zerstören die Lebensgrundlage vieler Menschen, die wenig resilient sind und ohnehin bereits am Rande der Existenz leben. Die Folgen der Klimakrise treffen hierbei ein Land, das pro Kopf nur 0,16 Tonnen CO2 verursacht – in etwa 54-mal weniger CO2 Ausstoß pro Kopf als beispielsweise in Deutschland. Hier spricht man von Klimaungerechtigkeit. 

Der Süden von Madagaskar liegt in der Subtropenzone, die natürlicherweise trocken mit nur wenigen Regentagen im Jahr ist. Die Vegetation ist dort weltweit einzigartig und hat sich durch die Ausbildung von Dornen als Fraß- und Sonnenschutz, sowie zur Verringerung des Wasserverlustes und Wasserspeicherungsmerkmale evolutionär angepasst. Die Menschen dieser Region leben dort seit jeher und haben sich sowohl in ihrer Lebensweise als auch in ihrer Kultur an die physikalischen Bedingungen angepasst (z.B. nomadische Weidewirtschaft, Süßkartoffel- und Maniokanbau). Eine Erhöhung der Temperatur wird für die Menschen in Südmadagaskar drastische Folgen haben: Wenn der Regen ausfällt, trocknen Flüsse und Seen aus und es ist den überwiegend dort lebenden Bauern und Hirten nicht möglich ihre Lebensgrundlage zu sichern. Ernten fallen aus, das Vieh geht zugrunde. 

Als Folge der Verschlechterung der Lebensbedingungen sind viele Menschen gezwungen ihre Heimat zu verlassen. Menschen, die ausreichende oder gerade genügend finanzielle Ressourcen haben, ziehen in anderen Regionen mit besseren Wetterbedingungen und Perspektiven oder sie gehen in die Städte, die bereits jetzt schon überfüllt sind. Dort wiederum steigert die – durch die Klimakrise verstärkte Binnenmigration Armut und Kriminalitätsraten: Wohnraummangel, Schmutz, Elend und Kriminalität breiten sich aus; so führt die Klimakrise auch zu Unsicherheit und Verschlechterung sozialer und wirtschaftlicher Probleme auf Madagaskar. Betroffene, die keine oder nur wenig finanzielle Ressourcen besitzen, versuchen unter diesen schweren Bedingungen vor Ort schlichtweg zu überleben. Sie verzehren alles was ihre Mägen füllt: Wurzeln, Kakteen, Lehm, Heuschrecken oder wiederaufbereitete Lederreste alter Schuhe. 

Internationale Hilfsorganisationen wie die Welthungerhilfe, das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen sowie Ärzte ohne Grenzen versuchen vor Ort zu helfen, indem sie Essen und Medikamenten bereitstellen. Jedoch erschweren der schlechte Zustand der Straßen und die Isolierung vieler Dörfer die Verteilung der Güter und Versorgung der Menschen erheblich. Die Deutsche KlimaStiftung beispielsweise konnte durch einen Spendenbeitrag an die Bürgermeisterin der Stadt Ambovombe direkt vor Ort Hilfe leisten. Die Spende finanziert die wöchentliche Versorgung von 300 Menschen, überwiegend Kinder, mit Essen über einen Zeitraum von 6 Wochen. Solche Maßnahmen sind jedoch nur eine Notlosung denn langfristig müssen die Ursachen der Klimakrise global bekämpft werden. 

Die Klimakrise trifft hier ein Land, das zu den ärmsten der Welt gehört, geplagt von Korruption und politischen Krisen. Mehr als 80% der Bevölkerung Madagaskars lebt in Armut mit weniger als 1,90 US$ am Tag. Die Klimakrise und ihre Folgen sind – neben dem Verlust der immensen Artenvielfalt und den aktuellen Pandemiebedingungen – ein zusätzlicher Faktor, der nicht nur die Wirtschaft und die Ökologie der Insel, sondern auch die Politik und das soziale Gefüge der Gesellschaft bereits jetzt negativ beeinflusst. Da es sich hier um eine Insel handelt, die von den Menschen nicht ohne weiteres verlassen werden kann, könnte es in die Zukunft zu massiver Hungersnot, weiterer Verarmung der Bevölkerung, politischen Krisen, Bürgerkriegen sowie zur nahezu vollständigen Zerstörung der Ökosysteme kommen.

Als historisch und aktuell hauptverantwortlich für die globale Klimakrise werden unumstritten Staaten aus dem sog. Globale Norden betrachtet. Es liegt damit in ihrer Verantwortung, Länder des Globalen Südens wie z.B. Madagaskar finanziell und technisch zu unterstützen. Nur so können die Folgen der Klimakrise gelindert werden. Diese Unterstützung könnte im Rahmen des sog. Verursacher-Prinzips gewährleistet werden, bei dem der Globale Norden die Verluste und Schäden im Globalen Süden finanziell ausgleicht. Die Problematik ist jedoch wesentlich komplexer. Postkoloniale Gefüge, unfaire globale Wirtschaftsstrukturen, Ressourcenausbeutung sowie die Abwesenheit von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit müssen parallel zu einer funktionierenden globalen Klimapolitik berücksichtigt werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass klimabedingte Migration in Zukunft zunimmt ist daher sehr hoch.

Insgesamt wurden in 2015 bereits ca. 19 Millionen Menschen weltweit von Extremwetterereignissen vertrieben (Neue Züricher Zeitung, 2017). Das ist doppelt so viel wie die im selben Jahr von Gewalt und Krieg vertriebenen Menschen. In 2050 werden schätzungsweise 140 Millionen Menschen als Folge des Klimawandels flüchten müssen (Welthungerhilfe, 2020). Dabei es ist wichtig zu betonen, dass die Mehrheit dieser Menschen innerhalb ihrer Region oder in benachbarte Länder migrieren wird. Einkommensschwache Menschen sind wenig oder kaum mobil. Zudem ist es unmöglich zwischen den verschiedenen Fluchtursachen zu unterscheiden. Folglich wird es schwer sein, genaue Zahlen zu klimabedingter Flucht und Migration zu erfassen und vorherzusagen. Begriffe wie „Masseneinwanderungen“ oder „Flüchtlingswellen“ in den Medien sowie die Abschottungspolitik Europas in Sachen Flucht erschweren die Sichtbarkeit von klimabedingter Flucht, die Entwicklung eines gesellschaftlichen Bewusstseins hierfür und entsprechender politische Entscheidungen. Auf dieser Grundlage ist es äußerst schwierig, den von Wetterextremen vertriebenen Menschen einen international rechtlich legalen Status als Geflüchtete zu sichern. Bisher werden die Menschen, die aufgrund von Wetterextremen geflohen sind nicht in der Genfer Flüchtlingskonvention berücksichtigt. Gründe wie Armut, Hunger oder der Klimawandel stellen laut der Konvention keine politische Verfolgung dar. Ein anderes Instrument, der in 2018 ratifizierter UNO-Flüchtlingspakt erkennt zwar die Folgen des Klimawandels als Treiber von zukünftigen internen und externen Fluchtbewegungen an, bezeichnet die Klimavertriebene aber nicht als Geflüchtete. Auf Madagaskar könnten die Folgen des Klimawandels die Anzahl der Binnenvertriebene deutlich erhöhen. In Extremfällen können die Madagassen*innen jedoch nicht einmal in die Nachbarländer fliehen. Sie sind auf einer Insel gefangen. 

Dr. Tsiry Rakotoarisoa – Referent „Klimaflucht und Klimagerechtigkeit“ der Deutschen KlimaStiftung

Konferenz: https://klimagesichter.de/angebote/abschlussveranstaltung/

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Kontakt: info@deutsche-klimastiftung.de

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