Die Verhältnisse in Marokko sind nicht einfach. Ein Viertel der Bevölkerung, vor allem auf dem Land, lebt in Armut. Das Entwicklungsgefälle zwischen Stadt und Land ist enorm. Ein hohes Haushaltsdefizit, hohe Arbeitslosigkeit und mangelnde berufliche Qualifikation bleiben große Herausforderungen. Wasser ist knapp und der Klimawandel bedroht die Lebensgrundlagen der Bevölkerung, so die GIZ (Gesellschaft Internationale Zusammenarbeit).
Aufgrund des Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstums steigt der Energieverbrauch jährlich um 6 Prozent. Dabei hängt die Energieversorgung stark von zwei Kohlekraftwerken ab, deren Brennstoff teuer importiert werden muss. Mit dem Wachstum steigen die Kohlendioxidemissionen. Dabei sind die Bedingungen für erneuerbare Energien Weltklasse, denn die Intensität der Sonneneinstrahlung ist mit über 2500 kWm2 pro Jahr mehr als doppelt so hoch wie an den besten Standorten in Deutschland.
Das rief den marokkanischen König auf den Plan, der 2009 einen Solarplan entwickelte. Bis 2020 sollten 42 Prozent des Strombedarfs aus den erneuerbaren Quellen Sonne, Wind und Wasser gedeckt werden. Ende 2023 wurde ein Anteil von 38 Prozent erreicht und das Ziel damit knapp verfehlt. Marokko ist es damit gelungen, eine Vorreiterrolle auf dem afrikanischen Kontinent einzunehmen. Bis 2030 soll der Anteil der erneuerbaren Energien in Marokko auf 52 Prozent steigen – ein ambitioniertes Ziel. In Deutschland, das den Kohle- und Atomausstieg beschlossen hat und auf grünen Wasserstoff setzt, liegt dieser Anteil Ende 2023 bei 51,6 Prozent. Der Anteil erneuerbarer Energien wächst jährlich um 5 Prozent. Deutschland dient hier nicht als Erzählung, sondern als Referenz!
Ein Referenzprojekt ist das Solarkraftwerk in Ouarzazate. Es gilt als das weltweit größte Solarkraftwerk seiner Art. Die Marketing-Argumentation lautet: 1,3 Millionen Menschen beziehen ihren Strom aus dem Kraftwerkskomplex und 800.000 Tonnen Kohlendioxid-Emissionen werden eingespart. Allerdings produzieren solarthermische Kraftwerke den Strom zu einem Preis von 6 bis 11 Euro Cent pro kWh . Das ist teuer in einer Zeit, in der Solarstrom aus Photovoltaikmodulen in der Region für 1 bis 2 kWh zu haben ist. Solarthermische Kraftwerke haben den Vorteil, dass sie Strom speichern können. Photovoltaikmodule können das nicht. Die hohen Kosten müssten auf die marokkanischen Stromkunden umgelegt werden. Man hat reagiert und setzt auf Hybridkraftwerke mit einem höheren Anteil an Photovoltaikmodulen. Der marokkanische Energiesektor steht vor großen Herausforderungen, auch beim grünen Wasserstoff.
Zunächst müssen Produktionskapazitäten und wegen des Bedarfs im benachbarten Europa auch Exportkapazitäten aufgebaut werden. Dazu gehört auch die Nutzung in der Düngemittelindustrie. Hier wird vor allem Ammoniak als Basis für Stickstoffdünger benötigt. Ammoniak besteht aus drei Wasserstoffatomen und einem Stickstoffatom. Der Stickstoff kommt in der Luft vor und der Wasserstoff kann durch Elektrolyse mit erneuerbarem Strom aus Wasser hergestellt werden. Das soll bis 2030 geschehen. Bis dahin sieht die Strategie den Aufbau von 14,6 Milliarden Gigawattstunden Erneuerbare-Energien-Kapazität pro Jahr vor.
In der zweiten Phase von 2030 bis 2040 soll die Kapazität der nationalen Stromnetze durch Wasserstoffspeicher erhöht werden. Außerdem soll Wasserstoff als Kraftstoff im öffentlichen Schwerlastverkehr eingesetzt werden. Ab 2040 sieht die Strategie eine weitere Steigerung der Exporte vor. Bis 2050 werden dafür über 130 Milliarden Gigawattstunden pro Jahr benötigt. Der Investitionsbedarf wird auf über 100 Milliarden Euro geschätzt.
Im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) unterstützt die KfW-Bank den Bau der Referenzanlage in der marokkanischen Provinz Guelmim mit bis zu 300 Millionen Euro in Form von Zuschüssen und Darlehen. Das Kraftwerk besteht aus mehreren Komponenten: Auf einem Hochplateau in der Provinz Guelmim werden Solarmodule installiert. Auf dem Bergrücken, der das Plateau begrenzt, werden Windkraftanlagen gebaut. Der Strom aus diesen Wind- und Solaranlagen wird in die rund 50 Kilometer entfernte Hafenstadt Tantan geleitet, wo eine Meerwasserentsalzungsanlage entsteht. Das dort gewonnene Süßwasser wird in eine Elektrolyseanlage eingespeist und schließlich in Sauerstoff und den gewünschten Wasserstoff aufgespalten.
2026 soll die Referenzanlage in Betrieb gehen. Das Hybridkraftwerk aus Solar- und Windenergie wird eine Leistung von 200 MW haben. Der Elektrolyseur wird eine Leistung von mindestens 100 MW haben. Damit können laut KfW mindestens 10.000 Tonnen Wasserstoff pro Jahr erzeugt werden. Ein Hochofen kann über 200.000 Tonnen Wasserstoff pro Jahr zur Stahlproduktion benötigen.
Die Dinge in Marokko sind in Bewegung und die Ziele werden knapp erreicht. Es bedarf jedoch einer erheblichen Steigerung der Aktivitäten, um die gesetzten Ziele auch nur annähernd zu erreichen. Anbieter aus aller Welt stehen in den Startlöchern und hoffen auf riesige Absatzmärkte. Allerdings sind die enormen Kapitalmengen auch eine knappe Ressource.
Autor: Dr. Thomas Isenburg, Wissenschaftsjournalist
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